Generation Ökotest

Unsere Gesellschaft, leidet, so scheint es mir,  unter einem stetig wachsenden Hang zur Pathologisierung, d.h. daran, alles mögliche als krankhaft zu empfinden und so zu bezeichnen. Unsere Umwelt macht uns krank, unsere Ernährung macht uns krank, unsere Arbeit macht uns krank, viele Verhaltensweisen machen uns krank, unsere Familien machen uns krank und unsere Beziehungen sowieso. Die allermeisten von uns entscheiden sich nicht bewusst, das so zu empfinden und die Symptome haben wir auch tatsächlich, doch gibt es ein ähnlich gelagertes Interesse an dem, was gesund in uns ist?  Krankheit hatte schon immer einen schlechten Leumund, aber jetzt möchte man noch weniger mit ihr zu tun haben.

Während die Umweltverschmutzung zurück gegangen ist, wir uns immer gesünder ernähren, weniger arbeiten, die Krankenhäuser freundlicher werden, Kinder besser versorgt werden, hat sich die subjektive Wahrnehmung der eigenen Gesundheit dramatisch verschlechtert. Laktose, Gluten, Pollen, Stress, Burn-out, Antibiotika, Elektrosmog etc. – wir sind empfindlich, unverträglich, allergisch. Wer regelmässig Ökotest liest, muss sich wundern, noch am Leben zu sein.
Das Leben hat offensichtlich einen sehr sehr langen Beipackzettel.
Die Mediziner wundern sich übrigens, denn bei den meisten Betroffenen finden sich gar keine physiologischen Ursachen. Wer tausendmal im Supermarkt glutenfrei auf der Verpackung gelesen hat, wird das nächste Symptom vielleicht dem Genuss von Nudeln zuschreiben. Ein Versuch eines Wissenschaftlers belegt den sogenannten Nocebo-Effekt (= die Erwartung einer Schädigung kann zu Symptomen führen). Durchgeführt wurde die Untersuchung mit der Angst vor Gesundheitsgefahren vor elektromagnetischen Feldern (hier der Bericht). Ein Teil der Versuchsteilnehmer bekam einen Dokumentarfilm des Senders BBC One zu sehen, in dem über die Gesundheitsgefahren von Mobilfunk- und WLAN-Signalen berichtet wurde. Der andere Teil schaute einen Bericht von BBC News über die Sicherheit von Internet- und Handy-Daten an. Anschließend wurden alle Probanden einem WLAN-Scheinsignal ausgesetzt, von dem sie aber annehmen konnten, dass es echt sei. Obwohl überhaupt keine Strahlung vorhanden war,  berichteten 54 Prozent der Testpersonen über Beunruhigung und Beklemmung, Beeinträchtigung ihrer Konzentration oder Kribbeln in den Fingern, Armen, Beinen und Füßen. Zwei Teilnehmer haben den Test vorzeitig beendet, weil ihre Symptome so stark waren, dass sie sich nicht länger der vermeintlichen WLAN-Strahlung aussetzen wollten.

Da wundern sich ja nur Schulmediziner. Dass die Psyche den Körper so beeinflusst, wie umgekehrt, ist ja hinlänglich bewiesen.

Könnte es also sein, dass Krankheit auch einen Sinn machen darf, der ihr heute abgesprochen wird? Und könnte es sein, dass trotz der in den letzten Jahrzehnten sich verbesserten messbaren Gesundheitsparameter etwas anderes auf der Strecke geblieben ist?
Die Resilienzforschung, also die Untersuchung der Faktoren, die die seelische Widerstandsfähigkeit stärken (die Fähigkeit, selbst in schwierigen Lebenskrisen und nach schweren Schicksalsschlägen wieder auf die Beine zu kommen) hat dazu schon einige Vermutungen geliefert, z.B. die Bedeutung einer frühen und stabilen Bindung (hier eine Präsentation).

Oder es hat einfach auch was mit dem Mangel an Liebe zu tun – für uns selbst und für andere.

 

Ein Gedanke zu „Generation Ökotest“

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