Die Grundbedürfnisse des Menschen

Der Neurobiologe Gerald Hüther, von dem man alles lesen kann, siehe z.B. hier, hat in einem Vortrag vor Psycho- und Körpertherapeuten, die von den Neurowissenschaften inzwischen bewiesene (und von anderen Disziplinen längst postulierte) Erkenntnis, dass das Gehirn ein soziales Konstrukt ist, sehr schön hergeleitet und dabei auf die Notwendigkeit körpertherapeutischer Ansätze oder Methoden verwiesen. Es gibt seiner Ansicht nach zwei Grunderfahrungen, die jeder Mensch am Anfang seines Lebens gemacht hat, intrauterin schon und unvermeidlich. Die eine ist: ich bin jeden Tag ein Stückchen über mich selbst herausgewachsen. Diese Erfahrung ist in jede Faser des Körpers und in alle Verschaltungen des Gehirns eingegraben und, da über längere Zeit erfahren, auch zu einer Erwartungshaltung geworden. Aus der Erfahrung ist ein menschliches Grundbedürfnis geworden. Die andere ist: ich war am Anfang verbunden und ich möchte auch weiter verbunden bleiben.

Auf der einen Seite also das Bedürfnis nach Bindung, nach Geborgenheit, nach Nähe und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Wachstum, nach Potentialentfaltung, nach Autonomie, nach Freiheit.

Wenn es nicht gelingt, dass eines oder beides der Grundbedürfnisse gestillt wird, dann leidet der Mensch an einem Mangel, ähnlich (auch hirntechnisch), wie wenn jemand ständig Hunger oder Durst leidet. Unter diesen Bedingungen entsteht eine Dauerbelastung im Gehirn, die nach einer Lösung ruft. Da das Stillen dieser Grundbedürfnisse aber nur über Beziehung funktioniert und diese Beziehung oft nicht vorhanden ist, sucht das Gehirn nach einer eigenen Lösung. Diese Lösungen sind meist sehr leicht, das sind dann Ersatzbefriedigungen, die man findet, um vorübergehend Ruhe ins Gehirn zu bekommen. Diese sind Legion, so wie Alkohol oder andere Drogen, Ruhm, Statussymbole, exzessiver Sport, Sexsucht, etc. Da wir aber nur von anderen (oder dem Fehlen von anderen) daran gehindert worden sind, unsere Grundbedürfnisse zu stillen, also zu wachsen und verbunden zu bleiben, so können wir nur durch andere da wieder raus kommen.

„Das ist die eigentliche Hoffnung, die wir alle haben können, wenn es um die Frage geht, wie wir anderen Menschen helfen können, zu sich selbst zurückzufinden. Sie können Menschen nicht ändern. Vergessen sie’s. Sie können sie auch nicht instruieren, sie können sie auch nicht unterrichten. Sie können Ihnen aber eine Chance geben, diese Erfahrungen noch einmal zu machen, dass sie verbunden sind, dass sie über sich hinauswachsen können. Es geht am leichtesten, indem Sie ihnen  die Chance geben, die Verbindung, die ihnen verloren gegangen ist zu ihrem eigenen Körper zurückzuschenken und indem sie ihnen die Chance geben zu erfahren, wie sehr sie an sich selbst wirksam sein können in der Beherrschung/ Nutzung, der Führung des eigenen Körpers. Deshalb glaube ich, sind körperorientierte Verfahren in der Psychotherapie so unendlich hilfreich und vielseitig nutzbar, weil sie an Ressourcen anknüpfen, die jeder Mensch am Anfang seines Lebens mit positiven Gefühlen gekoppelt hat und wenn es gelingt, das wieder aufzuschliessen, dann passiert dieses Wunder, dass etwas wieder verbunden wird, was unterwegs getrennt worden ist.“

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