Alle Beiträge von Matthias Lange

Möbel sind auch nur Menschen

render_flyer_anorexic_bed_borderline_chair_130324-940x350Es ist ja durchaus fraglich, ob und welche psychischen Krankheiten überhaupt Krankheiten sind; bezüglich der Frage, was noch normal ist, und was krank, ließe sich streiten, wenn es nicht um einen gewaltigen Markt ginge, an dem das System hängt, allerdings mehr die Systeme der Gesundheitsbranche, z.B. der Kliniken und der Pharmaindustrie, als die der vermeintlich Kranken.

Auf der einen Seite finde ich es sehr hilfreich, wenn herausgeforderte Menschen, die ihren Alltag nicht mehr schaffen, differenzierter wahrgenommen werden als früher („der/ die gehört in die Klapse“). Da hat, wie die werte Kölner Kollegin Katrin erzählte, z.B. psychenet.de in Hamburg beispielhafte Aufklärungsarbeit geleistet.

Auf der anderen Seite erhöht das die Gefahr, dass gesunde Menschen mit Alltagsproblemen zu psychisch Kranken abgestempelt werden. Die Psychiatrisierung von außergewöhnlichen Verhaltensweisen schreitet ja vehement voran. Psychiater und pharmazeutische Firmen produzieren mehr Kranke, um mehr Geld zu verdienen. Die Gabe von Ritalin an Grundschulkinder ist ja längst keine Randerscheinung mehr, sondern tägliche Praxis.

Durch die Auseinandersetzung mit psychischen Krankheiten entstehen aber auch sehr schöne Projekte, wie z.B. psycho furnitures – the mentally ill furniture collection von den beiden Designern Patricia Yasmine Graf und Fabian Seibert. Auf dem Bild oben sieht man  ein nur 35 cm schmales magersüchtiges Bett und einen Borderline-Stuhl.

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Auch Diktatoren können einem leid tun

tumblr_mf6szzmLtQ1qewv1lo1_500Aktuell zur politischen Lage in Nordkorea, wo sich die dritte Diktatoren-Generation auf perverse Art und Weise dabei abmüht, Liebe und Anerkennung zu bekommen, bin ich auf einen tollen Blog gestoßen, der sein Thema im Namen trägt: Kim Jong-il looking at things.

Der Blog zeigt die offiziellen Bilder der nordkoreanischen Nachrichtenagentur Korean Central News Agency, die den im Jahr 2011 verstorbenen ehemaligen obersten Machthaber Kim bei seinen zahlreichen Besichtigungen in Nordkorea darstellen, und versieht diese mit kurzen Bildunterschriften. Hunderte Fotos bilden einen beinahe völlig ausdruckslosen Kim Jong-il ab, der inmitten einer Delegation verschiedene Gegenstände von Gummistiefeln über Landwirtschaftsprodukte bis hin zu Computern betrachtet.

Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Die Grundbedürfnisse des Menschen

Der Neurobiologe Gerald Hüther, von dem man alles lesen kann, siehe z.B. hier, hat in einem Vortrag vor Psycho- und Körpertherapeuten, die von den Neurowissenschaften inzwischen bewiesene (und von anderen Disziplinen längst postulierte) Erkenntnis, dass das Gehirn ein soziales Konstrukt ist, sehr schön hergeleitet und dabei auf die Notwendigkeit körpertherapeutischer Ansätze oder Methoden verwiesen. Es gibt seiner Ansicht nach zwei Grunderfahrungen, die jeder Mensch am Anfang seines Lebens gemacht hat, intrauterin schon und unvermeidlich. Die eine ist: ich bin jeden Tag ein Stückchen über mich selbst herausgewachsen. Diese Erfahrung ist in jede Faser des Körpers und in alle Verschaltungen des Gehirns eingegraben und, da über längere Zeit erfahren, auch zu einer Erwartungshaltung geworden. Aus der Erfahrung ist ein menschliches Grundbedürfnis geworden. Die andere ist: ich war am Anfang verbunden und ich möchte auch weiter verbunden bleiben.

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Eine kleine Anatomiestunde mit Herrn Schulte

Anatomie_BrustsegmentGestern abend beim Vorbereiten der nächsten Gruppe, bei der wir das Brustsegment thematisieren wollen; da packte Herr Schulte sein reich gefülltes Schatzkästlein aus. In dem sehr wertvollen, aber auch recht kurzen Abschnitt bei Herskowitz, Emotionale Panzerung zum Brustsegment hatte ich als Vorbereitung gelesen, dass, wenn man ein Segment besonders hervorheben wollte, es das Brustsegment ist, weil es die für den Lebensprozess notwendigen Organe Herz und Lunge enthält und weil es die wichtigste Antriebsquelle des körperlichen Energienieveaus ist.

Das Brustsegment dient bei einer Panzerung anderer Segmente diesen, indem es die Intensität der zugeführten Energie reduziert und auf diese Weise den empfundenen Schmerz lindert. Durch die Reduzierung des Energieniveaus macht die Brustpanzerung jeden Schmerz weniger heftig, jede unerträgliche Situation etwas erträglicher. Die Panzerung der Brust dient neben der Energiehemmung dazu, die stärksten Ausdrücke von Liebe, Wut, Traurigkeit, Sehnsucht und Angst niederzuhalten. Statt sich zu heben, zu „wogen“, zu „schwellen“, wird sie so rigid wie möglich gehalten, wenn Emotionen verdrängt werden müssen. Diese zentrale Rolle der Brustpanzerung, so Herskowitz, ist der Grund dafür, dass die Atmung in der Reich’schen Körpertherapie so eine vorrangige Rolle spielt.

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Übung: Verbundenheit

Eine Übung für die tägliche Praxis der Achtsamkeit (vielleicht von Thích Nhất Hạnh oder Jon Kabat-Zinn). Wenn ich etwas Alltägliches tue wie z.B. essen, kann ich daran denken, mit was mich das verbindet. Mit welchen Lebewesen verbindet mich das Verzehren dieser Nahrung? Wenn ich Strassenbahn fahre, verbindet mich das mit all den Lebewesen, die dieses Fahrzeug geplant haben, den Menschen, die sie gebaut haben, dem Fahrer, dem Schaffner, den Mitreisenden, den Beobachtern, usw. Wenn ich telefoniere verbindet mich das mit all denen, die auch telefonieren, denen, die mein Telefon produziert haben, usw. Eine Übung, die ich immer machen kann, wenn ich gerade keine Zeit habe, eine Achtsamkeitsübung zu machen…

Achtsamkeit

Weiterhin suchend: in den letzten Tagen verschiedene Vorträge der Lindauer Psychotherapiewochen 2010 gehört. Und wichtige Hinweise für meine Landkarte erhalten. Vieles findet sich und scheint im Begriff der Achtsamkeit zusammenzufallen, ein Wort, das für mich immer nur nach Buddhismus geschmeckt hat. Luise Reddemann sagte unter anderem, dass das, was unter Achtsamkeitspraxis verstanden wird, eher eine Aufforderung an die Therapeutinnen ist, als an die Klienten. In den Vorträgen klärt sich ein Zusammenhang zwischen diesen vielen psychotherapeutischen Methoden und Interventionen: Achtsamkeit. Folgend die Stichpunkte, die ich mitbekommen habe.

Für Menschen in der Rolle des Therapeuten:

  • fühlt euern Hintern, wenn ihr an der Matte sitzt (Skan): Achtsamkeit
  • Erwarte nicht, dass das, was 100mal geholfen hat, beim 101mal auch hilft: Achtsamkeit
  • Erwarte nicht, dass irgendetwas, das du tust, hilft: Achtsamkeit
  • Aufmerksam, rücksichtsvoll, umsichtig, repektvoll und achtungzollend sein: Achtsamkeit
  • wiederkehrende Reflektion auf unser Tun, ob es heilsam oder nicht heilsam ist: Achtsamkeit
  • der Respekt vor der Autonomie des anderen: Achtsamkeit
  • Respekt vor ihrem oder seinem Anderssein: Achtsamkeit

Für Menschen in der Rolle des Klienten:

  • Bewusstsein für die Gegenwart, wie sie ist: Achtsamkeit
  • inneres Pendeln zwischen einem schmerzhaften und einem heilsamen Zustand (z.B. Focusing): über Achtsamkeit
  • Desidentifikation: Achtsamkeit
  • Der innere Zeuge/ Beobachter (Fonagy): Achtsamkeit
  • Aktivierung des präfrontalen Kortex (Schematherapie): Achtsamkeit
  • Abgespaltene Ego-States annehmen: Achtsamkeit
  • eine fühlende und empathische Beziehung zum eigenem Erleben, fühlende Distanz aufbauen und regulieren zum eigenen Erleben: Achtsamkeit
  • Utilisierung von z.B. Dissoziation (bewusstes sich von ferne betrachten) (Milton Erickson): Achtsamkeit

Übung: ein warmes Licht

KerzenlichtFühle ein Licht in deiner Brust. Eine kleine zarte Flamme, die deinen Brustraum erhellt und wärmt. Lass das Licht und diese Wärme sich langsam weiter ausdehnen in deinem Körper, bis nach und nach dein ganzer Körper voller Licht und Wärme ist.

Geht im Liegen, Sitzen, Stehen. Geht allein und später kann es vielleicht auch gelingen, das warme Licht in anderen zu spüren und zu erleben, wie das eigene und die der anderen zusammen leuchten und wärmen.